Heute fühl‘ ich mich wie Degenhardt

Andreas Meyer

Da sind sie wieder …

Ein Jahr nach dem Massaker der Hamas haben sich die Judenhasser positioniert. Heute, am 7. Oktober, ein Jahr nach den Vernichtungsorgien sind sie zur Stelle: Kritik an Israel, Hass auf Juden, Ratschläge für Israel. Natürlich ist die Kritik an der israelischen Regierung kein Sakrileg, die Winkelzüge Netanjahus sind besorgniserregend.

Und was hat dies mit Franz Josef Degenhardt zu tun?

Die Älteren kennen ihn noch, er war der wohl bekannteste Liedermacher der späten 60iger und 70iger-Jahre (ja, so wurden die Leute, die die Gitarre zupften und bedeutsame Texte zum Besten gaben, damals genannt.

Mit Preisen wurde er überhäuft, trotz oder gerade wegen seiner harschen Kritiken und trotz oder wegen seiner DKP-Mitgliedschaft. „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“, so die Mahnungen einer besorgten Mutter in einem seiner bekanntesten Lieder. Da gefiel sich in diesen Zeiten der Kulturbetrieb in der Rolle des kleinen Widerspenstigen. „Väterchen Franz“, eigentlich hatte ich ihn längst vergessen, doch „wie ein Märchen aus uralten Zeiten“, kommt er mir wieder in den Sinn. Wenn ich heute so in die Gazetten schaue oder mich durch die Fernsehkanäle zappe (die sozialen Medien hat mir mein Arzt verboten – zu hoher Blutdruck), erinnere ich mich an Väterchens Wutsong.

Der Titel: Zu Prag

Das Lied thematisiert die Niederschlagung des Prager Frühlings von 1968 durch sowjetische Panzer. Wütend ist er über die Empörten, die seiner Meinung nach nicht die Zerstörung der „Samtenen Revolution“ betrauern, sondern diese instrumentalisieren, um den Sozialismus zu denunzieren.

Dass Degenhardt mit seiner Bewertung von 1968 falsch lag und diese sowjetische Dampfwalzenlösung auch für viele Linke eine Abkehr von den tradierten staatssozialistischen Modellen mit sich brachte, denn für manchen war es eine bittere Zeitenwende, das steht auf einem anderen Blatt.

Auch hatte ich damals die Haltung Degenhardts nicht wirklich verstanden, fand seine Einstellung ziemlich arrogant. War es nicht erst einmal wichtig, dass sich eine große Solidaritätswelle aufgebaut hatte, ungeachtet der Motive, mit denen dies verknüpft war?

Und was hat dies mit dem heutigen 7. Oktober zu tun?

Heute habe ich verstanden, was Degenhardt gemeint hat; nein, heute habe ich gefühlt, was den Sänger damals so wütend gemacht hat. Wer nach dem 7. Oktober durch Wegschauen und Schweigen geglänzt hat, der hat jetzt keine Berechtigung, das große Wort zu führen. Seine Kritik ist eine heuchlerische, vielleicht auch billig ideologische.

„Nein, mit diesen Herren

(und mit den Herren ohne Eier, versteht sich)

teilen wir nicht

unsere Wut

über den Sieg der Panzer

zu Prag.“

So endet das Lied von Degenhardt, und man möchte hinzufügen: Mit denen habe ich kein Interesse und keinen Grund, eine Kritik an der Netanjahu- Regierung zu teilen.

Andreas Meyer 7. Oktober 2024

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